Navigationsdienste wie Google Maps optimieren Routen zwischen zwei Orten, berücksichtigen jedoch nicht die Struktur des gesamten Verkehrsnetzes. Oft zeigt sich, dass manche Orte trotz kurzer Distanz schwer mit dem ÖPNV zu erreichen sind, während andere weiter entfernte Ziele schneller angebunden sind. Was passiert also, wenn wir nicht nur einzelne Strecken betrachten, sondern das gesamte Haltestellen-Netzwerk von Münster in den Blick nehmen?
Genau hier setzt unser Projekt an: Statt nur einzelne Routen zu betrachten, analysieren wir die Erreichbarkeit im gesamten ÖPNV-Netz von Münster. Die zentrale Frage lautet: Wie schnell kommt man zu verschiedenen Haltestellen, wenn man um eine bestimmte Uhrzeit an einem bestimmten Punkt startet? So können wir sichtbar machen, welche Stadtteile gut angebunden sind – und wo es Schwachstellen gibt.
Unser Ziel ist es, temporale Zusammenhänge zu visualisieren und neue Einblicke in die tatsächliche Mobilität zu gewinnen. Wie verändert sich die Erreichbarkeit der Haltestellen im Laufe des Tages? Welche Haltestellen sind im Allgemeinen besonders schlecht erreichbar? Kommt man schnell vom Dorf in die Stadt, aber nur langsam aus der Stadt wieder aufs Dorf? Diese Erkenntnisse liefern wertvolle Hinweise darauf, wie der öffentliche Nahverkehr gezielt verbessert werden kann. Eine gezielte Berechnung dieser Daten unter Berücksichtigung von Fuß- und Busstrecken gibt es, soweit wir wissen, noch nicht.
Methodik
Mit unserer Fragestellung bewegten wir uns in der Welt temporaler Netzwerke. Das Netzwerk des ÖPNV besteht in unserem Fall aus den Haltestellen als Nodes (Knoten) und den Busverbindungen als Edges (Kanten). Um ein zeitlich dynamisches Netzwerk – den Temporal Graph von Münster – zu erstellen, haben wir öffentlich zugängliche Daten der Stadt Münster genutzt (https://www.stadtwerke-muenster.de/hilfe/mobilitaet/open-data-gtfs). Die aufbereiteten Daten enthielten Informationen zu den Haltestellen (IDs) sowie den Abfahrts- und Ankunftszeiten, welche wir zur Erstellung des Graphen verwendeten. Damit konnten wir alle Busverbindungen darstellen.
Doch was passiert, wenn ein Bus am Bahnhof in Abschnitt A1 ankommt, der nächste aber in Abschnitt D2 losfährt? Oder wenn ein kurzer Fußweg weitere Verbindungen ermöglichen würde? Um diese Fragen zu lösen, wurde schnell klar: Wir brauchen (Bus)Verbindungen zu Fuß: den Fußbus! Als zusätzliche Verbindungen fügten wir deshalb zu jeder möglichen Ankunfts- und Abfahrtszeit einer Haltestelle alle potenziellen Fußwege zu den 15 nächsten Haltestellen hinzu. Eine unelegante Lösung, aber so kommen wir mit existierenden C++ Libraries aus – macht doch einen Fork, wenn es euch stört – wir freuen uns!
Zur Erstellung des Graphen nutzten wir die Python Library TGLib (Oettershagen & Mutzel, 2022). Diese Library bietet zahlreiche Funktionen für die Analyse temporaler Netzwerke, darunter mehrere Implementierungen des Dijkstra-Algorithmus. Dieser Algorithmus löst das Single Source Shortest Path Problem: Wir starten an einer (Single) Haltestelle (Source) und möchten den schnellsten (Shortest) Weg (Path) zu allen anderen Haltestellen finden – genau das, was wir suchten.
Bevor wir TGLib nutzen konnten, mussten wir die nur im C++ Quellcode vorliegende Library auf unseren Rechnern für Python kompilieren. Da wir unterschiedliche Betriebssysteme benutzen, stießen wir auf unerwartete Schwierigkeiten. Dank der Reaktivierung alter Laptops, Chat-KI und großer Mengen Kaffee gelang es uns schließlich, die Library ans Laufen zu bringen.
Nach der technischen Vorarbeit implementierten wir den temporlen Graph und dessenVisualisierung innerhalb einer Flask-Anwendung, wodurch wir unser Projekt als Website mit hübscher Karte darstellen konnten – doch etwas stimmte nicht. Die (fußläufige) Verbindung vom Hauptbahnhof Abschnitt A1 zu D2 dauerte länger als die Fahrt vom Coesfelder Kreuz nach Coerde - unwahrscheinlich, dass das stimmt. Eine längere Fehleranalyse brachte des Rätsels Lösung: Die IDs der ausgegebenen Ergebnisse stimmten nicht mit den Haltestellen-IDs überein. Nach einer Korrektur konnten wir die Ergebnisse dann den richtigen Orten auf der Karte zuordnen.
Fehlt nur noch die inhaltliche Anwendung: Welche Orte in Münster sind wann und wie gut durch das Busnetzwerk verbunden?
Ergebnisse & Learnings
Betrachten wir drei Bereiche Münsters exemplarisch: Gievenbeck, der Hauptbahnhof und das etwas abgelegene Hiltrup.
Zur Nutzung des Tools wählt man zunächst eine Uhrzeit sowie eine Ausgangshaltestelle. Für Gievenbeck wurde dabei beispielsweise der „Rüschhausweg“ als Ausgangspunkt gewählt, für den Hauptbahnhof „Hauptbahnhof A“ und für Hiltrup die Haltestelle „An der Alten Kirche“. Um einen Überblick über die Anbindungen zu erhalten, wurde für jeden Stadtteil einmal die Uhrzeit auf 13 Uhr gesetzt (um den Tagesbetrieb zu analysieren) und einmal auf 22 Uhr (um den Nachtbetrieb zu betrachten).
Die Visualisierung erfolgt über ein Farbsystem: Jede Haltestelle erhält eine Farbe, die anzeigt, wie lange es dauert, sie zu erreichen. Grüntöne stehen dabei für eine sehr schnelle Erreichbarkeit, während dunklere Farben längere Fahrzeiten signalisieren. Mit einem Klick auf den farbigen Punkt erhält man zusätzlich den Namen der Haltestelle sowie die benötigte Zeit als Infotext.
Die Ergebnisse liefern interessante Einblicke in die Planungsstrategien:
Gievenbeck:
Hier zeigt sich, dass das Ziel darin liegt, die Bewohner:innen in das Zentrum Münsters zu befördern. Dies spiegelt sich darin wider, dass die dunklen Punkte – also die längeren Fahrzeiten – vor allem außerhalb der Innenstadt liegen. So ist beispielsweise Roxel, ein Stadtteil direkt südwestlich von Gievenbeck, trotz seiner Nähe vergleichsweise schlecht angebunden. Dies lässt vermuten, dass hier der Schwerpunkt auf der Stärkung der Innenstadtwirtschaft liegt.
Hauptbahnhof:
Der Hauptbahnhof fungiert als Drehkreuz und Tor für ganz Münster: Die Karte zeigt eine Vielzahl heller Punkte, und nur wenige dunkle Bereiche. Abgesehen von einigen entlegenen Orten wie Nienberge oder Albachten erreicht man nahezu jeden Stadtteil Münsters in guter Zeit. Dies unterstreicht das Ziel, den Hauptbahnhof als zentralen Verteilerpunkt für Bürger:innen und Touristen zu etablieren.
Hiltrup:
Auch wenn Hiltrup etwas außerhalb liegt, ist hier ein klares Leitmotiv erkennbar: Die Einwohner:innen sollen möglichst schnell den Hauptbahnhof erreichen können. Besonders die Haltestellen entlang der Route zum Hauptbahnhof sind heller markiert als das Umland.
Wählt man 22 Uhr als Zeitpunkt, verschlechtern sich – wie erwartet – die Anbindungen, während die bereits identifizierten Muster unverändert bleiben.
Insgesamt ermöglicht das Tool eine fundierte Analyse des aktuellen Verkehrsangebots und der zugrunde liegenden Planungsmotive. Gleichzeitig lassen sich so auch potenzielle Schwachstellen identifizieren – wie etwa in Gievenbeck, wo die Anbindung an die Peripherie noch ausbaufähig erscheint.
Neugierig? Hier geht’s zum Code!
https://github.com/timseidel/ichmussraus-bus-muenster
Referenz
Oettershagen, L., & Mutzel, P. (2022). TGLib: An Open-Source Library for Temporal Graph Analysis. 2022 IEEE International Conference on Data Mining Workshops (ICDMW), 1240–1245. https://doi.org/10.1109/ICDMW58026.2022.00160
Team & Rollen
Tim Seidel
In alle Schritte des Projekts eingebunden.
Julian Breer
In alle Schritte des Projekts eingebunden.
Ida Schulze Tast
In alle Schritte des Projekts eingebunden.
Deniz Tezci
In alle Schritte des Projekts eingebunden.
Helena Thorbrügge
In alle Schritte des Projekts eingebunden.
Mentor:in
Hendrik Linn